Dr. Kristian Giesen, Professor für Volkswirtschaftslehre & Finanzwesen:
„Wir müssen unser Verständnis für Krisen ändern“
Dritter und letzter Teil unserer Serie, in der Expertinnen und Experten der FOM in Stuttgart aus der Wirtschaftspsychologie, dem Pflegemanagement und der Volkswirtschaftslehre drängende Fragen zur aktuellen COVID-19 Pandemie beantworten. Aus Sicht eines Experten der Volkswirtschaftslehre und des Finanzwesens nimmt Dr. Kristian Giesen, Professor an der Stuttgarter FOM, Stellung.
Auswirkungen der Corona-Krise sind auch für Fachleute nur schwer vorher zu sagen. Professor Giesen hat hierzu eine klare Meinung: „Wir hatten in der Vergangenheit mehrere Krisen, die von der breiten Bevölkerung teilweise nicht wirklich wahrgenommen worden sind, wie zum Beispiel die Dot-Com-Blase im Jahr 2000. Die Auswirkungen der darauffolgenden Finanzkrise waren für Verbraucher hingegen schon deutlich spürbar.“ Der Experte geht noch einen Schritt weiter: „Die jetzige Corona-Krise scheint aber ein deutlich gewaltigeres ökonomisches Zerstörungspotenzial zu besitzen und wird wohl sämtliche Wirtschaftskrisen der letzten Generationen in den Schatten stellen“. Denn diese Krise finde nicht in fernen Gebieten statt, sondern sei bei uns auch in den kleinsten Dörfern spürbar. Giesen: „Wir sehen, dass nahe Bekannte ihre Jobs verlieren, hiesige Unternehmen starke Liquiditätsprobleme bekommen und wir selbst auf bestimmte Freiheiten verzichten müssen“.
„Sämtliche Prognosen sind mit extremer Unsicherheit behaftet“
„Sämtliche Prognosen sind mit extremer Unsicherheit behaftet, da wir nicht wissen, welche Ereignisse auftreten werden, von denen wir heute – sei es in der Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder der Auswirkung – keine Vorstellung haben“, betont Professor Giesen. Erst die Entwicklungen in den kommenden Wochen würden zeigen, wie stark der Schaden sein wird oder werden kann. Positive Auswirkungen wären die logische Konsequenz, wenn es gelänge, zeitnah einen schnellen und günstigen Test verfügbar zu machen und so den Verlauf der Infektionswelle abzubremsen. Noch bedeutender sei die Entwicklung eines Impfstoffes. Auf der anderen Seite ist auch eine Verlängerung des Shutdowns vorstellbar – womit weitere enorme negative Auswirkungen verbunden wären.
Wie reagieren Menschen auf die Senkung des öknonomischen Wohlstandes?
Während er das Handeln des Staates und die Bereitstellung großzügiger Hilfen für die Wirtschaft als begrüßenswert und richtig einstuft, sieht der Experte an anderer Stelle drohende Wolken aufziehen. Giesen: „Sorgen mache ich mir um die Zeit nach Corona: Wie reagieren die Leute auf eine Senkung des ökonomischen Wohlstands, welche Auswirkungen hat das auf die politische Einstellung, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen und auf die internationalen Kapitalmärkte?“. In diesem Zusammenhang wäre es nach seiner Einschätzung wünschenswert, den partiellen Shutdown zu verkürzen – ohne dabei aber eine weitere Ausbreitung der Pandemie hervorzurufen“. Genau hier läge ein Zielkonflikt, der schwierig zu umgehen sei.

Der Experte weiter: „Ein rasches Zurückkehren zum Alltag würde der Wirtschaft in erster Linie helfen, jedoch zeitgleich die Ausbreitung der Pandemie wohl eher begünstigen. Dahinter versteckt ist ein weiterer Effekt: Wenn man die Maßnahmen zu schnell lockert, so kann eine Ausbreitung des Virus im Rahmen einer weiteren Infektionswelle zu noch drastischeren Auswirkungen, auch auf die Wirtschaft, führen“.
„Verständnis von Krisen ändern“
„Krisen scheinen zu der Natur unseres wirtschaftlichen Handelns zu gehören. Ich würde mir wünschen, dass wir unser Verständnis von Krisen ändern“, so der Experte, der seit 2016 an der FOM in Stuttgart lehrt. Seine Analyse: Ökonomische Akteure messen großen Krisen, die zwar unregelmäßig, aber öfter als gedacht auftreten, eine zu geringe Bedeutung bei. Bei Banken habe man beispielsweise seit der Finanzkrise eine Transformation insbesondere in der Form gesehen, dass sich diese stressresistenter aufstellen. Bei Unternehmen sei diese Entwicklung nicht in dem Ausmaß feststellbar; viele Unternehmen seien nicht ansatzweise auf Krisen vorbereitet. Kristian Giesen: „Bei vielen Betrieben findet kaum eine strukturierte Auseinandersetzung mit wirtschaftlichen Risiken statt und bestehende Gefahren werden nicht im Rahmen einer Risikoinventur gelistet und bewertet. Dieses Risikomanagement wird häufig als Vorschrift und als Last gesehen, dabei ist ein adäquates Risikomanagement – wie man derzeit sehr gut beobachten kann – ein wesentlicher Erfolgsfaktor, und das nicht nur in Krisenzeiten“.
Dr. Mira Fauth-Bühler, Professorin für Wirtschaftspsychologie und Neuroökonomie: "Hamsterkäufe vermitteln vermeintliche Sicherheit"