Drei Fragen an Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer
„Der Begriff ‘Steuerpranger‘ ist völlig falsch“
In Baden-Württemberg ist die neue Online-Plattform zur Anzeige und Erfassung von Steuerstraftaten an den Start gegangen. Seitdem wird im Land heiß diskutiert. Ist es richtig, wenn Bürgerinnen und Bürger anonym ihre Nachbarn, Mitarbeitenden oder Ex-Beziehungen bei der Finanzbehörde anzeigen können? Sind die Ämter verpflichtet, sämtlichen Anzeigen nachzugehen? Und wie kann Missbrauch ausgeschlossen werden? Im Kurzinterview beantwortet Prof. Dr. Hans-Jörg Fischer, Experte für Steuer- und Wirtschaftsrecht an der FOM Hochschule in Mannheim und Karlsruhe, diese Fragen und ordnet das Thema rechtlich ein.
Herr Prof. Fischer, was halten Sie von dem neuen „Steuerpranger“ in Baden-Württemberg?
Hans-Jörg Fischer: Zunächst einmal: Der Begriff „Steuerpranger“ ist völlig falsch. Bis ins 19. Jahrhundert hinein war der Pranger ein Werkzeug für öffentliche Bestrafungen. Dies geschieht über die neue Plattform jedoch nicht. Ansonsten war es auch vor der Einführung dieses Online-Tools für die Finanzämter bereits verpflichtend, ernstzunehmenden Hinweisen auf Steuerhinterziehung, auch anonymen Briefen, nachzugehen, der sogenannte Amtsermittlungsgrundsatz. An der Pflicht zur Nachverfolgung seitens der Behörden hat sich rein rechtlich also nichts geändert. Inwiefern eine solche Plattform moralisch fragwürdig ist, steht auf einem anderen Blatt.
Wie schätzen Sie die Gefahr ein, dass aus Rache, enttäuschter Liebe oder anderen Gründen Menschen anonym angezeigt werden, die sich nichts haben zuschulden kommen lassen?
Hans-Jörg Fischer: Die Gefahr des Missbrauchs ist in der Tat sehr groß, falsche Beschuldigungen werden hier zu leicht gemacht. Aus meiner Sicht müsste auf der Webseite, bevor überhaupt Einträge vorgenommen werden können, ein deutlicher Hinweis gegeben werden, der vor Missbrauch warnt und in dem auch klargemacht wird, dass falsche Beschuldigungen ein Straftatbestand sind. Das ist – zumindest aktuell – leider nicht der Fall.
Welche Strafen drohen bei missbräuchlichen Angaben?
Hans-Jörg Fischer: Absichtliche Falschaussagen auf dieser Plattform unterliegen laut Strafgesetzbuch dem Straftatbestand der falschen Verdächtigung. Wer eine solche Straftat begeht, dem droht eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Herr Prof. Fischer, vielen Dank für Ihre Einschätzung!
Silke Fortmann