Prof. Dr. Kristian Giesen, Experte für Volkswirtschaftslehre und Finanzwesen:
„Wenn Risikomanagement fehlt, ist die Insolvenz nicht weit“
Insolvenzen, höhere Arbeitslosigkeit sowie eine deutliche Verringerung des Bruttoinlandprodukts – Corona hat die deutsche Wirtschaft fest im Griff. Aber es könnte noch viel schlimmer kommen. Dr. Kristian Giesen, Professor der Volkswirtschaftslehre und des Finanzwesens an der FOM Hochschule in Stuttgart, attestiert vielen Unternehmen ein schlechtes Riskomanagement und blickt nicht ohne Sorge in die Zukunft.
„Die gefürchtete massive Insolvenzwelle ist bisher nicht eingetreten; vielleicht deshalb, weil die Insolvenzantragspflicht für zahlungsunfähige Unternehmen für ein halbes Jahr ausgesetzt wurde“, erklärt der Stuttgarter Wirtschaftsexperte. Die Aussetzung der Meldungspflicht sei ein Risiko für Geschäftspartner der betroffenen Unternehmen, betont Giesen. So sei es durchaus möglich, dass ein Lieferant seinem bereits kränkelndem Abnehmer weiterhin Ware auf Rechnung liefert, ohne zu wissen, dass dieser Zahlungsschwierigkeiten hat. Giesen und andere Volkswirtschaftler vermuten deshalb, dass die Welle an Insolvenzen zu einem späteren Zeitpunkt auftreten wird.
Risikomanagement im Mittelstand? Fehlanzeige!
„Die Corona-Krise zeigt uns, dass nur wenige Unternehmen auf Krisen vorbereitet sind; besonders kleine und mittelständische Unternehmen hatten dem Problem wenig entgegenzusetzen.“ Viele Unternehmen, so Giesen weiter, erfüllten nicht einmal die gesetzlichen Anforderungen beim Risikomanagement, dabei sei mit dem KonTraG (Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich) als Reaktion auf Unternehmenszusammenbrüche klar festgelegt worden, dass vor allem für Aktiengesellschaften ein Risiko-Überwachungssystem eingerichtet werden muss. Der Vorstand sieht sich in Krisensituationen sonst schnell mit zivil- und strafrechtlichen Tatbeständen und der Haftung mit dem Privatvermögen konfrontiert.
Tagesgeschäft statt Zukunftsplanung
„Unsere Welt ist sehr komplex geworden, so dass Risiken strategisch betrachtet werden müssen. Ich sehe in vielen Unternehmen, dass Risiken nur im Tagesgeschäft überwacht werden; eine Auseinandersetzung mit möglichen kommenden Szenarien findet nicht statt“, zeigt sich Prof. Dr. Kristian Giesen besorgt. Viele Firmen hätten zwar eine Controlling-Abteilung, aber auch dort würden Risiken meist entweder gar nicht oder nicht fundiert behandelt. Dabei wäre es nach Giesens Einschätzung einfach, eine Controlling-Abteilung mit den richtigen Werkzeugen auszustatten und davon massiv zu profitieren. Der Wirtschaftsexperte weiter: „Ich persönlich sehe es als äußerst fahrlässig an, auf ein angemessenes Risikomanagement zu verzichten. Viele Unternehmen haben noch nicht verstanden, dass sie so ihren langfristigen Erfolg zum Glücksspiel machen. In der Praxis hingegen sehe ich, dass Gefahren übersehen und nicht strukturiert erfasst werden.“

Häufig liege der Fokus zudem auf den falschen Risiken und man fühle sich sicher, da man sich mit Versicherungen eingedeckt hat, beklagt der Fachmann. Besonders gefährliche Schäden kämen dann wie aus dem „Nichts“ und vernichteten im schlimmsten Fall das Unternehmen.
Vorsorge in „guten Zeiten“ wäre notwendig
„In ‚guten Zeiten‘ sehen Manager keinen Grund für die systematische Betrachtung von Risiken - und in ‚schlechten Zeiten‘ hat man vermeintlich Wichtigeres zu tun. Dass Risikomanagement jedoch Geld, Ressourcen und Zeit sparen und Gewinne einbringen soll und das Unternehmen gleichzeitig schützt, ist vor allem im deutschen Mittelstand leider nicht umfassend angekommen“, resümmiert Professor Giesen. Er hat allerings auch eine Hoffnung: „Wenn die Corona-Krise nun einen Umdenkungsprozess und eine Sensibilisierung für das Thema Risikomanagement bewirkt, wäre dies ein positiver Aspekt. Dadurch könnten Unternehmen, vor allem mittelständische und Kleinunternehmen, in der Zukunft krisenresistenter gemacht werden. Dann hätten wir wirklich etwas aus der Corona-Krise gelernt“.