Dr. Peter Preuss, Professor für Wirtschaftsinformatik:
„Corona-Apps können Eindämmung unterstützen“
Kaum ein Thema wird angesichts der aktuellen COVID-19 Pandemie so kontrovers diskutiert wie die Frage, ob so genannte „Corona-Apps“ einen praktischen Nutzen bei der Eindämmung des Virus haben. Oder ob mögliche Gefahren, insbesondere in der Anwendung und bei der Datensicherheit, diesen Nutzen weit übersteigen. Dr. Peter Preuss, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Stuttgarter FOM, beantwortet die wichtigsten Fragen zum Thema.
Herr Professor Preuss, ist der Einsatz einer sogenannten „Corona-App“ grundsätzlich sinnvoll?
Preuss: „Das Gesundheitsministerium und das RKI befürworten den Einsatz einer „Corona-App“, um Infektionsketten besser nachverfolgen zu können. Eine schnelle Kontaktnachverfolgung ist essenziell zur Eindämmung des Corona-Virus, da eine generelle Kontaktsperre auf Dauer nicht aufrecht gehalten werden kann. Die notwendige Schnelligkeit erhofft man sich von digitalen Lösungen, und hier könnte eine „Corona-App“ in der Tat einen wesentlichen Beitrag leisten.“
Wie funktioniert eine Kontaktnachverfolgung mit einer solchen App?
„Die vom Gesundheitsministerium diskutierten Lösungen nutzen die Bluetooth-Low-Energy-Technologie von Smartphones. Ist Bluetooth auf zwei Handys aktiviert, kann der Abstand zwischen den Geräten gemessen werden. Das funktioniert so: Die Smartphones senden in kurzen Zeitabständen sogenannte Beacons. Empfängt ein Smartphone die Beacons eines anderen Geräts, kann es anhand der Signalstärke die Distanz zum Sender berechnen. Über diese Funktechnik wird dann aber nicht nur der Abstand gemessen, sondern es werden auch „Corona-IDs“ ausgetauscht. Wenn zwei Smartphones sich für mindestens 15 Minuten weniger als zwei Meter entfernt voneinander befinden, wird die ID der Kontaktperson in der Corona-App gespeichert. Bei einem positiven Covid-19-Befund kann man seine Kontaktliste in der App freigeben und die Kontaktpersonen werden automatisch darüber informiert, dass sie in den letzten Tagen Kontakt mit einer infizierten Person hatten. Die Idee ist, dass die Kontaktpersonen dann das Gesundheitsamt informieren und sich für zwei Wochen in Selbstquarantäne begeben.“
Wie sieht es bei der Corona-App mit dem Datenschutz aus?
„Das wird in der Tat kontrovers diskutiert. Der Chaos Computer Club hat auf seiner Webseite zehn Prüfsteine für die Beurteilung von Corona-Apps veröffentlicht. An diesen Kriterien sollten sich App-Entwickler unbedingt orientieren. Zu den Kriterien gehört beispielsweise die Sicherstellung der Anonymität. Die Daten, die auf den Handys gesammelt werden, dürfen also nicht dazu geeignet sein, die Kontaktpersonen zu identifizieren. Das kann man beispielsweise dadurch erreichen, dass die versendeten Corona-IDs keine personenbezogenen Daten enthalten und die IDs sich regelmäßig ändern.“
Worin besteht der wesentliche Unterschied zwischen den unterschiedlichen Lösungen?
„Im Prinzip gibt es einen zentralen und einen dezentralen Lösungsansatz. Bei der zentralen Lösung schicken die infizierten Personen ihre Kontaktlisten an einen zentralen Server. Dort „weiß man“, welches Smartphone sich hinter welcher Kontakt-ID verbirgt und die Kontaktpersonen werden über deren Smartphones informiert. Bei diesem Ansatz vertraut man darauf, dass die gesammelten Daten nur für die Eindämmung des Virus verwendet werden und nicht für andere Zwecke missbraucht werden. Ein großer Vorteil dieser Lösung wäre, dass man mithilfe von Machine-Learning-Verfahren aus dem gesammelten Datenmaterial lernen kann, wie sich das Virus ausbreitet, wie hoch die Ansteckungsgefahr ist usw.
Beim zweiten Lösungsansatz werden die Kontaktlisten der erkrankten Personen auch an einen zentralen Server geschickt. Die Daten werden dort aber nur gespeichert, eine Kontaktnachverfolgung findet nicht statt. Stattdessen werden die Listen regelmäßig von allen Corona-Apps heruntergeladen und die Apps prüfen selbst, ob eine eigene ID in den Listen enthalten ist. Der ID-Abgleich findet also in der App und nicht auf einem zentralen Server statt. Das erhöht die Anonymität. Die Daten können dann allerdings nicht mehr ausgewertet werden, um mehr über das Virus zu lernen.“
Die Bundesregierung hat sich gestern für die dezentrale Lösung entschieden…
„Ja, das ist richtig. Neben den Datenschutzbedenken ist ein weiterer Grund sicherlich im Silicon Valley zu finden: Die IT-Giganten Google und Apple arbeiten erstmalig in der Geschichte zusammen, um bei der Bekämpfung des Corona-Virus zu unterstützen. Momentan arbeiten die beiden Unternehmen mit Hochdruck daran, dass die Kontaktnachverfolgung integraler Bestandteil ihrer Handy-Betriebssysteme Android und iOS wird und dann weltweit auf unzähligen Smartphones zur Verfügung steht. Diese neue Funktionalität kann dann von allen Softwareunternehmen auf der Erde genutzt werden, wenn sie „Contact Tracing“-Apps entwickeln möchten. Diese Google-Apple-Lösung basiert auf dem dezentralen Lösungsansatz, d.h. Android und iOS kümmern sich um die Identifikation meiner Kontaktpersonen und die Kontaktlisten infizierter Personen werden vermutlich in der Google Cloud bzw. der iCloud gespeichert. Das RKI wird hierfür nicht mehr benötigt.“
Kann die Ausbreitung des Corona-Virus wirklich gestoppt werden, wenn alle Bürger die Corona-App nutzen?
„Die Corona-App kann sicherlich einen wertvollen Beitrag zur Kontaktnachverfolgung leisten. Man darf aber nicht vergessen, dass die Abstandsmessung über Bluetooth nicht immer perfekt funktioniert und man sich natürlich auch anstecken kann, wenn man weniger als 15 Minuten Kontakt mit einer infizierten Person hatte. Hinzu kommt, dass Menschen in Altersheimen und Pflegeheimen, die ja zur Hochrisikogruppe gehören, häufig gar kein Smartphone besitzen.“
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