Klimaschutz vs. Klimaanpassung

Klimaschutz und Klimaanpassung können sich in die Quere kommen (Foto: Midjourney/Martin Czyz)

Nachhaltigkeitsexpertin Prof. Dr. Nadine Pratt im Interview

„Wie Unternehmen heute mit Klimarisiken umgehen, ist zukunftsentscheidend“

Steigende Temperaturen, Überflutungen, Dürreperioden: Der Klimawandel ist überall spürbar. Auch Unternehmen müssen sich an die veränderten Bedingungen anpassen. FOM Nachhaltigkeitsexpertin Prof. Dr. Nadine Pratt spricht im Interview darüber, wie das gelingen kann – ohne Kollateralschäden.

Frau Professor Pratt, Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel: Beides stellt Unternehmen vor große Herausforderungen. In welchem Bereich sind deutsche Firmen bereits weiter?
Prof. Dr. Nadine Pratt: Ganz klar im Klimaschutz. Das zeigen auch die ersten Berichte, zu denen Unternehmen seit Kurzem durch die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) verpflichtet sind. Die EU-Richtlinie fordert beides, aber mit der Klimaanpassung fangen viele erst jetzt an. Den Verantwortlichen wird zunehmend bewusst, welche Risiken sie eingehen, wenn sie die Anpassung vernachlässigen. Wie Unternehmen heute mit Klimarisiken umgehen, ist zukunftsentscheidend.

 

Welche Risiken drohen den Unternehmen konkret?
Prof. Pratt: Zunächst physische Risiken: Niedrigwasser auf Rhein oder Elbe kann Lieferketten lahmlegen, weil Unternehmen ihre Waren nicht mehr transportieren können. In der Landwirtschaft sinken die Erträge, weil das Getreide auf den Feldern verdorrt. Wenn meine Produktionsanlage überflutet wird, kann ich nicht mehr produzieren. Diese klimabedingten Risiken verursachen hohe Kosten und ziehen weitere Risiken nach sich: Wenn eine Firma eine Versicherung abschließen will, fragt die Versicherung heute: Wie gut managst du deine „Climate Risks“? Wer dazu nichts Überzeugendes vorlegen kann, muss sehr hohe Prämien zahlen, oder wird gar nicht versichert. Ähnliches gilt für Investoren. Die beobachten genau, wie Unternehmen mit Klimarisiken umgehen.

 

Wozu raten Sie einem Unternehmen, das mit der Klimaanpassung loslegen will?
Prof. Pratt: Die Anpassungsmaßnahmen sollten von Anfang an mit der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens verzahnt werden! Wer das nicht tut, riskiert, dass die Maßnahmen die eigene Emissionsminderung bzw. den Klimaschutz unterlaufen.

 

Wie können sich Klimaschutz und -anpassung in die Quere kommen?
Prof. Pratt: Ein Beispiel aus dem Kaffeeanbau: Durch den Klimawandel verschieben sich geeignete Anbauzonen, sodass Kaffee in vielen traditionellen Regionen zunehmend unter Hitzestress und veränderten Niederschlagsmustern leidet. Um weiterhin Erträge zu sichern, könnten Kaffeebauern auf höher gelegene, passendere Gebiete ausweichen. Wird dabei Regenwald gerodet, um neue Anbauflächen zu schaffen, stellt dies zwar eine Klimaanpassungsmaßnahme dar. Gleichzeitig verschärft sie aber die Klimakrise, da bei Brandrohdung große Mengen Kohlendioxid freigesetzt und wichtige Kohlenstoffsenken zerstört werden. Solche Zielkonflikte zwischen Klimaschutz und Anpassung treten im Nachhaltigkeitskontext häufig auf.

 

Woran liegt das?
Prof. Pratt: Beide Ziele – Klimaadaptation und Klimaschutz – sind wichtig, aber sie scheinen widersprüchlich zu sein. Klimaschutz adressiert die Ursache des Klimawandels, er zielt darauf ab, Emissionen zu senken, global und langfristig. Klimaanpassung richtet sich gegen die Folgen des Klimawandels. Diese treten lokal auf und haben oft eine hohe Dringlichkeit: ein Damm gegen die Überflutungsgefahr, Bewässerungsanlagen gegen Trockenheit. Das kann kurzfristig erfolgreich sein. Es ist aber wichtig, dass die Firmen dabei Schnellschüsse vermeiden, mit denen sie die Ursachen des Klimawandels weiter antreiben – unbeabsichtigt.

 

Wodurch können Unternehmen in diese Falle geraten?
Prof. Pratt: Aus Gründen der Unternehmensstruktur zum Beispiel. In großen Unternehmen sind Klimaschutz und Klimaanpassung oft getrennte Welten. Klimaschutz ist in der Nachhaltigkeitsabteilung beheimatet, Klimaanpassung oftmals im Risikomanagement. Manchmal reden die Verantwortlichen kaum miteinander. Dabei müssen beide Seiten gemeinsam überlegen: Wie docken wir die Anpassung an unsere Klimaschutzstrategie an? Das erfordert ein Umdenken. Das Risikomanagement muss verstehen, dass ihre Maßnahmen die Emissionen nicht in die Höhe treiben dürfen, und Nachhaltigkeitsverantwortliche sollten auch aktuelle Risiken im Blick haben. Nur gemeinsam können die Verantwortlichen wirksame Maßnahmen entwickeln, bei denen beides ineinandergreift.


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Wie sieht Anpassung aus, die auch den Klimaschutz voranbringt?
Prof. Pratt: Firmen können Klimaanlagen mit Ökostrom betreiben oder sich für andere Maßnahmen entscheiden: intelligente Beschattung, intelligente Fenster, Gebäudebegrünung. Im Kaffeeanbau bewährt sich etwa regenerative Landwirtschaft, die für Mikroklimazonen sorgt. Lokale Pflanzen beschatten die Kaffeesetzlinge, ihre Wurzeln verzweigen sich weiter und speichern Regenwasser besser. Es ist aber nicht damit getan, Maßnahmen wie diese einfach nur umzusetzen. Entscheidend ist auch, dass die Unternehmen deren Erfolge integriert erfassen und auswerten. Neue, kurzfristige Klimaanpassungen müssen immer mit langfristigen abgestimmt werden, die bereits laufen. Und: Die gesamte Lieferkette gehört in die Betrachtung. Die Verantwortlichen sollten bei jeder neuen Initiative mindestens prüfen: Kann das beim Klimaschutz auch nach hinten losgehen?

 

Welche Chancen bietet die neue Dynamik in der Klimaanpassung für die Unternehmen?
Prof. Pratt: Deutschland ist aufgrund seiner dichten Besiedlung, der stark industrialisierten Wirtschaft und der hohen Klimarisiken – etwa durch Hitzewellen, Starkregen oder Niedrigwasser – ein bedeutender Absatzmarkt für Anpassungslösungen. Dank starker technologischer Kompetenz und industriellem Know-how können deutsche Unternehmen darüber hinaus viele energieeffiziente und klimaresiliente Lösungen exportieren. Für die einzelnen Unternehmen liegt die Chance in mehr Resilienz: Es nützt ihnen unmittelbar, Geld für etwas auszugeben, das die eigenen Risiken senkt. Damit habe ich auch die Unternehmensspitze schnell hinter mir. Aus meiner Sicht ist es entscheidend, die Gelder so zu lenken, dass die Unternehmen Klimaschutz und Adaptation miteinander vernetzen und dabei die Multi-Stakeholder-Brille aufsetzen: Was mache ich lokal, welche Auswirkungen hat das auf andere, und wie wirkt sich das wiederum auf mich aus? Das ist auch der Kern der doppelten Wesentlichkeitsanalyse, einem Konzept der Nachhaltigkeitsberichterstattung: Das Handeln eines Unternehmens wirkt sich auf Umwelt und Gesellschaft aus, diese Auswirkungen wiederum können dann eine positive oder negative finanzielle Auswirkung auf das Unternehmen haben. Die Integration von Klimaadaptation und Klimaschutz erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass dieser Kreis kein Teufelskreis, sondern eine positive Dynamik wird, die allen nützt: der Umwelt, der Gesellschaft und dem Unternehmen.

 

Das Interview führte Maike Petersen.
 

Veranstaltungstipp

Prof. Dr. Nadine Pratt spricht auf der Handelsblatt Konferenz „Corporate Climate Adaptation“ am 30./31. Oktober in Düsseldorf. In ihrer Session geht es darum, wie Unternehmen Klimaanpassung und -minderung trotz widersprüchlicher Anforderungen erfolgreich integrieren können. 

Zur Person

Dr. Nadine Pratt ist FOM Professorin für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre mit Fokus auf Internationales Management und Sustainability. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u. a. nachhaltige Geschäftsmodelle und Green Digital Transformation. Darüber hinaus bringt sie ihre Expertise als selbstständige Beraterin, Moderatorin und Keynote-Speakerin in internationalen CSR- und Nachhaltigkeitsprojekten ein.

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