Vanessa Just

Prof. Dr. Vanessa Just lehrt Wirtschaftsinformatik an der FOM und beschäftigt sich mit Sustainable AI. (Grafik: privat/Dean Lindner/FOM)

Interview

„Nachhaltige KI verbindet Ökologie, Soziales und Wirtschaft“

Künstliche Intelligenz verändert Wirtschaft und Gesellschaft: Doch wie nachhaltig ist der KI-Boom wirklich? Prof. Dr. Vanessa Just spricht im Interview über zukunftsfähige Digitalisierung, verantwortungsvolle Technologien und die Rolle der nächsten Generation bei der Gestaltung von KI-Systemen.

Frau Prof. Just, der Begriff „Sustainable AI“ begegnet uns immer häufiger. Doch was ist damit genau gemeint?
Darunter verstehen wir den Ansatz, KI nachhaltig zu gestalten. Es geht dabei um den CO₂-Ausstoß der Anwendung. Der gesamte Lebenszyklus wird betrachtet, von der Frage des Energiebedarfs über die Trainingsdaten bis hin zur verwendeten Hardware und der späteren Außerbetriebnahme. Auch der Standort der Rechenleistung spielt eine Rolle. Nachhaltigkeit bedeutet aber nicht nur ökologisches Denken. Soziale Fairness, unternehmerische Verantwortung, Transparenz und der reflektierte Einsatz von KI sind ebenfalls Teil des Konzepts. Wichtig ist, dass Unternehmen sich bewusst machen, warum und wie sie KI einsetzen – nicht einfach nur, weil es technologisch möglich ist. Darüber hinaus gibt es mit „AI for Sustainability“ einen verwandten Ansatz, bei dem KI gezielt eingesetzt wird, um gesellschaftliche oder ökologische Probleme zu lösen.

Digitalisierung um der Digitalisierung willen reicht nicht aus, sagen Sie. Wie finden Unternehmen den richtigen Kurs?
Der sinnvollste Startpunkt ist die konkrete Problemstellung im Unternehmen. Erst wenn klar ist, welches Ziel erreicht werden soll, lässt sich bewerten, ob und inwiefern digitale Lösungen – etwa durch den Einsatz von KI – einen echten Nutzen bringen. Statt sich von Trends treiben zu lassen, sollten Unternehmen eigene Leitlinien für Digitalisierungs- und Nachhaltigkeitsziele formulieren. Diese Leitlinien helfen auch dann, wenn Zielkonflikte auftauchen, zum Beispiel zwischen Energieeffizienz und Kostendruck. Unternehmen tun gut daran, nicht auf möglichst viele, sondern auf besonders durchdachte Projekte zu setzen. Die Qualität entscheidet, nicht die Quantität.

Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie. Gleichzeitig benötigen KI-Systeme enorme Rechenleistungen und damit viel Energie. Wie lassen sich Fortschritt und Nachhaltigkeit vereinen?
Entscheidend ist, ob ein bestimmtes Modell überhaupt für das vorliegende Problem geeignet ist. In vielen Fällen leisten kleinere, spezialisierte Systeme bessere Arbeit als große, aufwendig trainierte Generalisten. Auch der Betrieb der Systeme muss hinterfragt werden: Wie klimafreundlich ist das genutzte Rechenzentrum? Wird die entstehende Abwärme sinnvoll genutzt? Welche Stromquelle wird verwendet? Letztlich sollte immer geprüft werden, ob der erwartete Nutzen den Ressourcenaufwand rechtfertigt. Manche Anwendungen verbrauchen sehr viel Energie, ohne einen klaren Mehrwert zu liefern. Solche Fälle gilt es zu erkennen und zu vermeiden.

Zur Person

Prof. Dr. Vanessa Just lehrt Wirtschaftsinformatik an der FOM Hochschule und ist Gründerin und Geschäftsführerin von juS.TECH. Sie berät Unternehmen zur nachhaltigen digitalen Transformation und kombiniert technisches Know-how mit ökologischer und gesellschaftlicher Verantwortung. Im Vorstand des KI Bundesverbandes engagiert sie sich für den verantwortungsvollen Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Mittelstand.

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Was muss ein KI-System mitbringen, damit Sie sagen: Das ist ein gutes Beispiel für nachhaltige Technologie?
Ein wirklich nachhaltiges KI-System vereint ökologische, soziale und ökonomische Verantwortung. Es sollte effizient arbeiten, also möglichst wenig Energie benötigen, und gleichzeitig einen spürbaren Nutzen erzeugen. Wichtig ist dabei die Transparenz: Die verwendeten Datenquellen und Modellversionen sollten dokumentiert und nachvollziehbar sein. Außerdem braucht es klare Regeln für den Betrieb. Dazu gehören regelmäßige Überprüfungen auf Verzerrungen, Bewertungen möglicher Risiken und eine laufende Beobachtung des Systems. Erst wenn diese Aspekte zusammenwirken, kann man von einem guten Beispiel für nachhaltige Technologie sprechen.

In vielen Unternehmen herrscht technischer Aktionismus. Was unterscheidet aus Ihrer Sicht ein zukunftsfähiges KI-Projekt von einem kurzfristigen Digital-Hype?
Zukunftsfähige Projekte zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf klaren Annahmen beruhen, strukturiert weiterentwickelt werden und Teil eines größeren Veränderungsprozesses sind. Sie stehen nicht isoliert da, sondern sind sinnvoll eingebettet. Bei Digital-Hypes fehlt oft eine klare Zielsetzung. Es werden überdimensionierte Systeme aufgebaut, die weder effizient noch sinnvoll eingesetzt sind. Zukunftsfähigkeit zeigt sich auch in der Integration der Mitarbeitenden. Wenn Kompetenzen mitgedacht, gestärkt und eingebunden werden, ist das ein starkes Zeichen für nachhaltige Digitalprojekte.

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Sie arbeiten an der Schnittstelle von Technik, Wirtschaft und Ethik. Wie verändert sich die Rolle der Wirtschaftsinformatik in Zeiten von Klimazielen, Regulierung und digitaler Verantwortung?
Mir ist es wichtig, dass Studierende von Anfang an die Auswirkungen der Technologien mitdenken, die sie entwickeln. Jede Entscheidung – ob für ein Cloud-Angebot, einen Speicherort oder ein KI-Modell – hat ökologische Konsequenzen. Hier kommt Datenkompetenz ins Spiel: Ein sauberes, strukturiertes Datenmanagement ist die Grundlage für nachhaltige KI-Systeme. Gleichzeitig wird interdisziplinäres Denken immer relevanter. Entwicklerinnen und Entwickler sollten nicht nur technisch versiert sein, sondern sich auch mit Nachhaltigkeit, Ethik und betriebswirtschaftlichen Aspekten auskennen. Dazu gehört auch ein solides Verständnis regulatorischer Rahmenbedingungen: Was verlangt der EU AI Act? Welche Pflichten entstehen durch einen Nachhaltigkeitsbericht? Und wie lassen sich diese Anforderungen in der Praxis umsetzen?

Was sollten junge Menschen wissen, die heute in digitale Berufe einsteigen und morgen KI-Systeme mitgestalten wollen?
KI wirkt immer in den Alltag hinein: Sie verändert Prozesse, beeinflusst Ressourcenverbräuche und kann ganze Branchen prägen. Wer sie entwickelt, trägt Verantwortung. Deshalb ist es wichtig, neben der technischen Ausbildung auch ein Bewusstsein für gesellschaftliche, ökologische und ethische Fragen zu entwickeln. Die Frage, wie ein System kleiner, fairer und effizienter werden kann, ist oft entscheidender als die Frage nach der neuesten Funktion. Neugier und Reflexionsfähigkeit gehören genauso dazu wie ein realistischer Blick auf die Folgen der eigenen Arbeit. Nicht jede Innovation bedeutet Fortschritt. Manchmal ist der Verzicht die bessere Entscheidung. Wer heute an digitalen Systemen arbeitet, gestaltet die Zukunft mit und kann sie bewusst positiv beeinflussen.

Die Fragen stellte David Knapp
 

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