Zu ihrer Berufung als "Ökologia" erklärt Prof. Dr. Herlyn
„Ich freue mich sehr, dass ich für das Jahr 2022 zur „Ökologia“ berufen wurde, denn es jährt sich zum 50. Mal die erste UN-Umweltkonferenz, die 1972 in Stockholm stattfand. Es ist bereits 50 Jahre her, dass die damalige indische Ministerpräsidentin Indira Gandhi das unbedingte Recht der Entwicklungsländer auf nachholende wirtschaftliche Entwicklung in die internationale Debatte einbrachte, welches nicht für den Umweltschutz geopfert werden dürfe. Die Konferenz endete ohne Abschlusserklärung, Jahre später entstand 1987 die Brundtland Definition einer nachhaltigen Entwicklung, die auf die gleichzeitige Verwirklichung (nachholender) wirtschaftlicher Entwicklung und Umwelt- und Klimaschutz abzielt. Heute spiegeln sich diese beiden Kernanliegen in den 17 Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 wider.
Erschreckend ist, dass die zentrale Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung, nämlich die Überwindung der Zielkonflikte zwischen Umwelt und Klimaschutz einerseits und nachholender Entwicklung andererseits bis heute nicht gelungen ist. Dies wird bei keinem Thema so deutlich wie beim Klimaschutz: Ungelöste Gerechtigkeitsfragen verhindern nach wie vor einen wirkungsvollen Schutz des Klimas, der nur in internationaler Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd gelingen kann. Wichtige Handlungsfelder sind die Energiesysteme einerseits und sog. natur-basierte Lösungen andererseits. Im Bereich der Land- und Forstwirtschaft ist es möglich, zugleich Entwicklung (Schaffung von Arbeitsplätzen, Überwindung von Hunger etc.) zu fördern und das Klima zu schützen. Letzteres, weil die Natur (Bäume, aber auch Böden) eine natürliche CO2-Senke darstellt, die es zu erhalten bzw. wiederherzustellen gilt.
Leider ist auch nach 50 Jahren kaum bekannt, was tatsächlich hinter dem Begriff ‚nachhaltige Entwicklung‘ steht. Viel zu viele Menschen in Deutschland und anderen Industrieländern reduzieren ihn auf ökologische Fragen. Als "Ökologia" ist es mir wichtig, in diesem besonderen Jahr 2022 auf die größeren Zusammenhänge hinzuweisen, die seit genau 50 Jahren auf dem Tisch liegen. Wenn wir noch eine Chance haben möchten, die großen Herausforderungen unserer Zeit zu bewältigen, muss ein breites Verständnis in Politik und Gesellschaft darüber entstehen, dass wir uns international engagieren müssen. Die Industrieländer müssen die Entwicklungsländer in ihren Klimaschutzaktivitäten technologisch und finanziell unterstützen. Dies ist keine alleinige politische Aufgabe, sondern braucht außerdem ein starkes Engagement des Privatsektors und damit jedes Einzelnen. Die vom BMZ initiierte Allianz für Entwicklung und Klima zielt darauf ab, genau dieses nicht-staatliche Engagement zu befördern. Ich bin mir sicher, dass dies ganz im Sinne von Indira Gandhi ist.“