Zeitumstellungen haben Auswirkungen auf den zirkadianen Rhythmus (Foto: Freepik/Martin Czyz)
Ticken wir falsch?
Wie Zeitumstellungen unsere Gesundheit belasten
Zweimal im Jahr drehen wir die Uhren – und geraten dabei oft selbst aus dem Takt. Was die Zeitumstellung mit unserer inneren Uhr macht, warum vor allem die Sommerzeit problematisch ist und wie man den biologischen Mini-Jetlag abfedern kann, erklärt Prof. Dr. habil. Thomas Kantermann, FOM Experte für Chronobiologie und Gesundheitspsychologie.
Professor Kantermann, wie funktioniert unsere innere Uhr? Prof. Dr. habil. Thomas Kantermann: Unser Körper folgt dem zirkadianen Rhythmus – einem biologischen Takt, der etwa 24 Stunden dauert und nahezu alle körperlichen Prozesse steuert: von der Genaktivität über unser Verhalten bis hin zum Schlaf-Wach-Zyklus. Diese innere Uhr muss täglich mit der Umwelt in Einklang gebracht werden. Dafür benötigt sie sogenannte Zeitgeber, sprich äußere Signale, die den Rhythmus steuern. Der wichtigste Zeitgeber für den Menschen ist das Sonnenlicht. Es hilft dabei, die innere Uhr zuverlässig an den tatsächlichen Tagesverlauf anzupassen.
Warum fällt uns die Umstellung auf die Winterzeit leichter als auf die Sommerzeit?
Prof. Kantermann: Genau genommen gibt es nur eine Normal- bzw. Standardzeit. Die Sommerzeit ist ein künstliches Konstrukt: eine Idee, kollektiv eine Stunde früher mit dem Tag zu beginnen. Chronobiologisch betrachtet ist sie ein Eingriff in unseren natürlichen Rhythmus, und das mit körperlichen Folgen. Morgens bleibt es länger dunkel, sprich das Lichtsignal, das unsere innere Uhr justieren soll, fehlt. Hinzu kommt: Wir stehen eine Stunde früher auf, „merken“ es aber nicht, denn wir stellen ja die sozialen Uhren um. Gleichzeitig hält das viele Licht am Abend wach und verschiebt die Einschlafzeit nach hinten. All das führt zu einem Schlafdefizit – und einer inneren Uhr, die nicht mehr richtig „tickt“.
Welche Auswirkungen hat das auf unseren Alltag?
Prof. Kantermann: Vor allem in den ersten Tagen nach der Zeitumstellung im Frühjahr kann die kognitive Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Dazu zählen Konzentrationsschwierigkeiten, verminderte Aufmerksamkeit, und dadurch eine erhöhte Unfallgefahr im Straßenverkehr. Es gibt zwar keine konkreten Daten – aber zahlreiche Hinweise aus Simulationsstudien, dass ein Teil der Bevölkerung über Monate unter den gesundheitlichen Effekten leidet.
Wie kann man den „Mini-Jetlag“ nach der Umstellung abmildern? Prof. Kantermann: Der wichtigste Tipp lautet: Tageslicht nutzen. Wer gleich nach dem Aufstehen nach draußen geht, unterstützt die Synchronisation der inneren Uhr. Noch besser: Das Ganze mit leichter Bewegung verbinden. Am Abend gilt das Gegenteil: Gedimmtes Licht und ein dunkles Schlafzimmer fördern die nötige Müdigkeit. Zudem helfen gleichbleibende Schlafenszeiten, also möglichst immer zur gleichen Uhrzeit ins Bett gehen und aufstehen. Vor dem Wechsel zur Sommerzeit kann es helfen, in der Woche davor jeden Tag ein paar Minuten früher aufzustehen, um den Wechsel sanfter zu gestalten. Die Umstellung im Herbst wird in der Regel gut vertragen – dennoch gilt grundsätzlich: Viel Tageslicht (draußen!), dunkle, kühle Schlafräume (ca. 19 Grad) und ein stabiler Rhythmus. Das ist die beste Grundlage für erholsamen Schlaf.
Das Interview führte Sissy Niemann
Zur Person
Prof. Dr. habil. Thomas Kantermann ist Experte für Chronobiologie und Gesundheitspsychologie an der FOM Hochschule. Der promovierte Biologe und habilitierte Medizinpsychologe ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Arbeit & Personal (iap) und Mitglied im Academic Board des Center for Innovation, Business, Development & Entrepreneurship (CIBE). Als Geschäftsführer des Beratungsunternehmens SynOpus unterstützt er Unternehmen in den Bereichen Chronobiologie, Schlaf, Gesundheit und Leistungsfähigkeit.
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