Wirtschaftsinformatiker Professor Dr. Bernd Ulmann:
„Wenn Algorithmen an ihre Grenzen stoßen, könnte die Zukunft Analog-Rechnern gehören“
Digitaler, vernetzter, smarter – im alltäglichen Gebrauch sind wir heute von Computern und Smartphones fasziniert. Sie begleiten uns vom Aufstehen an als Kommunikationsmittel, Spielzeug, Sporttool oder „Smart Companion“. Kaum einer kann ohne. Da wirkt der Appell von Prof. Dr. Bernd Ulmann, Wirtschaftsinformatiker an der FOM Hochschule in Frankfurt, die Zukunft gehöre Analogrechnern, wie ein einsamer Ruf aus der Wüste. Aber weit gefehlt: Wegen des geringen Energieverbrauchs, der extrem hohen Rechenleistung und einer erstaunlichen Parallelität von Rechenoperationen haben diese Maschinen große Vorteile gegenüber digitalen Systemen. Zudem sind sie kaum zu hacken, weil sie ohne Software oder Algorithmus arbeiten.
In den Fünfziger- bis Siebzigerjahren waren Analog-Rechner die Helden der Zeit. Große und kleine Maschinen, oft mit schier unzähligen bunten Kabeln, simulierten komplexe Systeme, z.B. Raketen, Flugzeuge, Kernreaktoren. Software-Programme gab es nicht. Vor der Lösung einer Aufgabe musste der Anwender die Rechner exakt definieren, Formeln aufstellen, die das Problem beschreiben, und eine sogenannte Rechnerschaltung durch Verdrahten eines Steckfeldes erstellen. „Ohne Analogrechner wären Luft- und Raumfahrt, Automobilbau und viele andere Bereiche, die unser tägliches Leben prägen, längst nicht so weit entwickelt“, sagt Prof. Ulmann. „Analog-Rechner sind bis vor Kurzem beinahe in Vergessenheit geraten, verstauben in Institutskellern oder wurden schon vor Jahren einfach entsorgt.“
Hohe Rechenleistung bei geringem Energieverbrauch
Bis heute. „Seit Neuestem setzen Start-ups, die Systeme mit künstlicher Intelligenz entwickeln, wieder Analog-Rechner ein“, betont Ulmann. So beispielsweise für medizinische Implantate, die dank analoger Rechentechnik so wenig Energie benötigen, dass sie auf Basis der kleinen Temperaturdifferenzen in einem lebenden Organismus genügend Energie für ihren Betrieb gewinnen können. „Zukünftig werden Retina- oder Cochlea-Implantate so lange leben wie der Mensch, in den sie eingesetzt wurden.“ In Sachen Energieverbrauch sind analoge Maschinen unschlagbar: Pro Watt elektrischer Energie liefern sie eine deutlich höhere Rechenleistung als digitale Computer. „Viele Techniken der Zukunft, von medizinischen Implantaten bis hin zu Höchstleistungscomputer, werden ohne analoge Rechenleistung nicht denkbar sein“, meint Prof. Ulmann. Während in den USA Fachleute die Zeichen der Zeit schon erkannt hätten, sei in Deutschland das Denken „outside the box“ noch schwer.
Weltweit größte Privatsammlung an Analog-Rechnern in Bad Schwalbach
Ulmann befürwortet es, diese Technik wieder aktiv einzusetzen und gibt sein Wissen auch an seine Studierenden weiter. Denn: Ulmann hat so viele Analog-Rechner vor der Entsorgung gerettet wie er konnte und stellt sie in der weltweit größten Privatsammlung in Bad Schwalbach aus. „In einigen meiner Vorlesungen programmiere ich mit den Studierenden Analogrechner, um beispielsweise dynamische Systeme zu simulieren; einen besseren Einblick in das komplexe Verhalten solcher Systeme kann man nicht bekommen.“ Und er fügt hinzu: „Mich begeistern die nahezu endlosen Möglichkeiten, die hinter der Idee der modellbasierten Lösungsverfahren stecken.“